Donnerstag, 5. März 2009

Verdammnis. - Teil 9

Das Gebrüll des jungen Thorwalers war schon lange zu hören gewesen, als die Türe aufflog und Herr Firun einen eisig kalten Luftstoß mit in die Hütte bließ.

Arngrim, ein Thinskar (=Leibwache d. Hetleute), hatte den Auftrag gehabt auf den Sohn seines Hetmannes Trollwulf der Drachenschild-Ottajasko zu achten. Geir, sein Schützling, und seine Freunde waren in Thorwal unterwegs gewesen. Die Jungs hatten sich prächtig amüsiert und auf dem Heimweg war das Unglück passiert: Auf der spiegelglatten Straße hatten die Jungs ihren Spaß gehabt und hatten sich mit Schneebällen beworfen. Dann hatte Geir, als Arngrim nicht aufgepasst hatte, gewagt, auf einen Stapel Kisten zu klettern um seine Freunde von oben mit Schneebällen einzudecken. Arngrim wollte ihn gerade herunterholen, aber da war es schon zu spät gewesen: Das Glück hatte den Jungen verlassen, als der Stapel ins Wanken geraten war. Geir hatte noch versucht auf den Beinen aufzukommen, hatte aber nicht mit der eiskalten Straße gerechnet. Es hatte ein lautes Knacken gegeben, als der Junge ausgerutscht und aufgeschlagen war. Der Junge hatte seitdem nur noch geschrien und brüllte dauernd, das sein Knie ihm so weh täte. Wäre er bloß Ohnmächtig geworden! Arngrim hatte die Lage erkannt, die Situation verlangte nach einem Fachkundigen Läknir (=[Wund-]Arzt).

"Renea!" brüllte Arngrim in den Raum, sah die Alte aber nicht. "Renea komm raus ich brauche deine Hilfe!". Der Thinskar fegte den Tisch frei und legte mit Hilfe der Freunde Geirs den Jungen dort ab.
Verfluchtes Pech! schalt er sein Schicksal.
"Renea! Komm schon ich weiss das Du da bist!" Der alte Recke machte einen Schritt auf die Schlafecke der Alten neben dem Kamin zu und zog die dicke Wolldecke zur Seite, die den Schlafbereich vor der Kälte schützte. "Runolf, mach die Türe zu, Eldgrimm Du machst Feuer!" befahl er den Freunden Geirs.
"Was bei Swafnir machst Du da!" zischte die Stimme der alten Frau. Sie hatte sich aus ihrem Deckenlager erhoben und blickte dem Hühnen herausfordernd ins Gesicht. "Wen bringst Du da zu mir?"
Der Thorwaler schluckte. Sie war dürr geworden. Dürr und alt. Lange lag der Tag zurück an dem sie sich kennen gelernt hatten. Bestimmt vierzig Winter. Auch wenn sie jetzt eine alte Frau war leuchteten ihre Augen noch im alten Feuer. Augen, die er damals geliebt hatte. Augen die er gehasst hatte.
"Renea" er stockte kurz und versuchte ein Lächeln "ich bitte Dich. Er ist gestürzt. Sein Knie ist.. er hat es sich verdreht. Ich weiss nicht wo ich sonst hingehen soll. Bitte! Er ist mein Schützling. Ich weiß es ist lange her. Wir haben beide Fehler gemaht. Tu es für den Jungen. Helf ihm, ich weiß nicht wo ich sonst hin gehen soll! Er ist der beste Spieler von Orkan Thorwal.. ich ... er soll nicht durch einen Fehler von mir zum Krüppel werden.."
Erst dann bemerkte Arngrim dass er die Frau an den Schultern gepackt hatte. Sie blickte ihm tief in die Augen. Er musste an die Liebesnächte mit der sicher zwanzig Jahre älteren Frau im Sommer vor vierzig Jahren denken. Er war jung gewesen und hatte viel von ihr gelernt. Dann war er auf Fahrt gegangen und sie hatten sich aus den Augen verloren. Sie hatte versucht ihn wieder zu sehen. Auch wenn es ein Abenteuer gewesen war mit ihr, hatte sie immer ein seltsames Gefühl gehabt, wenn sie sich getroffen hatten. Auf der Straße. In einer Halla zu verschiedenen Feiern. Immer hatte er das Gefühl gehabt, ihm hätte etwas gefehlt ohne sie. Selbst als er verheiratet gewesen war, war dies so geblieben.
Er schüttelte die Gedanken ab und ließ die Frau los, die kurz zu dem Jungen am Tisch blickte, der von seinen Freunden umsorgt wurde, so gut es ging. Ihr Blick traf ihn wieder.
"Geh mir aus dem Weg" sagte sie kurz und gefühlslos und gab ihm einen Klaps auf sein Gemächt, so daß er schmerzerfüllt zusammenzuckt und zur Seite stolperte.
Sie zog ein Messer aus ihrem Gewand und schnitt dem Jungen die Hose auf. Die Jungs um den Tisch und Arngim starrten auf das blau-rot schimmernde Knie.
"Bei Swafnir" entfuhr es Runolf und schlug eine Hand vor den Mund.
Geir biß sich tapfer auf die Zähne und stöhnte als die Frau sein Bein anfasste.
"Muss ick sterben, Läknir?" brachte Geir ermattet vor und riß dann entsetzt brüllend den Mund auf. Er zuckte hoch und schnell packten seine Freunde zu. Renea hatte an seinem Fuß gezogen und mit der anderen Hand das Knie gedrückt.
Dann sackte er zusammen.
"Er ist ohnmächtig" stotterte Eldgrimm.
"Gut. Ihr verlasst jetzt mein Zuhause. Kommt morgen wieder." sagte Renea zu den Männern "Und Du, Thinskari wirst mir helfen, diesen Jungen zu heilen. Setz Wasser auf."

Geir bekam Wickel mit Kräutern. Er bekam alles nur wie im Traum mit. Das freundliche Gesicht der alten Frau beugte sich über ihn.
"Ist es jetzt besser?" flüsterte sie.
"Aye" stöhnte Geir.
"Gut. Schlaf jetzt, damit das Knie heilt. Ich gebe Dir etwas, was Dir dabei hilft. Gegen die Schmerzen! Das Knie braucht Ruhe. Du willst ja wieder Laufen können wie ein Orkan. Thinskar sagte, Du wärst einer der besten Spieler, hm?"
Geir lächelte. Er fühlte sich zu schwach zu antworten, trank aber mutig das bittere Gebräu aus, welches ihm die Frau unter die Nase hielt.
"Schlaf jetzt,.. und träum was schönes." sagte sie und tätschelte zärtlich seine Stirn. Doch Geir war schon eingeschlafen.

Als er aufwachte stand die Alte an der Herdstelle. Sie hatte ihm den Rücken zugewand und trug immernoch ihren Mantel. Doch sie hatte die Kaputze übergezogen.
Geir schluckte. Sein Hals war trocken.
"Läk..." brachte er krächtsend hervor. "Wo ist Angrimm? Kommt mein Vater?"
Du bist wach. Das ist gut. Dein Freund hat Dich im Stich gelassen. Es gibt .. Neuigkeiten für Dich. Dein Knie betreffend. Es wird schwierig, es zu heilen.
Die Stimme der Heilerin sprach mal schnell mal zischelte sie langsam, als ob sie keine Ruhe finden könne...
"Wa.. was ist mit meinem Knie? Ist es zu retten? Bitte Läknir, hilf mir. Ich will kein Krüppel sein! Bitte"
Natürlich. Du willst laufen. Stürmisch wie ein Orkan. Du willst doch ein guter Läufer bleiben? Die Stimme kicherte. Nun, wie gesagt. Das wird wohl nichts mehr. Mit 17 Wintern schon ein humpelnder Krüppel...
"Bitte, Fru, sei nicht so gemein zu mir. Ich habe schon die Riten der Männlichkeit hinter mir! Ich bin erwachsen und will leben.. Ich will nicht dazu verdammt sein hier in Thorwal bleiben zu müssen..."
Tja, daran geht wohl kein Weg vorbei. Es tur mir so leid für dich.
Geir meinte Hohn in der Stimme zu hören und riß die Augen auf, als er sah wie kurz ein silberner Schimmer über die Decke tanzte. Ganz wie der Glanz vom Blatt einer Säge oder eines Beils... Hatte die Frau mit den freundlichen Augen vor ihm das Bein abzunehmen?
"Fru Läknir, ick bitte dich. Kann ick denn nichts tun?"
Nun.. vielleicht schon. Aber dazu wärst Du mir einen großen Gefallen schuldig. Es wird Dir nicht gefallen was ich von Dir verlange. Irgendwann später verlange! ... Aber wenn Du zustimmst. Ja, dann könnte ich Dich retten. Außerdem ist es - verboten, könnte man sagen. Wieder ein hastiges Kichern. Es ist Zauber im Spiel. Die Darken Alfen müssen helfen. Willst Du das?
Geir schauderte. Alfen? Es gab viele Geister. Gute wie Schlechte. Konnte man ihre Hilfe anflehen? Und Darke Alfen waren sicher keine guten Geister. Jedoch, was sollte er tun? Er hatte so viele Träume. Orkan Thorwal, seine Mannschaft. Und er wollte noch auf See fahren, für Thorwal kämpfen, Abenteuer erleben. - Und irgendwann seinem Vater als Hetmann folgen. Wie sollte er das mit einem verkrüppelten Bein je schaffen? Das Risiko musste man eingehen, wenn sie denn helfen konnten, diese Alfen. Trotzem zögerte Geir, er spürte etwas grundfalsches in diesem Angebot. War dies wirklich eine Läknir? Oder vielleicht eine Hexe?
Wenn Du zögerst, ziehen die Sterne vorbei zischte die Stimme. Entscheid Dich! Rasch! Die mantelumhüllte Gestalt vor dem Feuer drehte leicht den Kopf vom Feuer weg, als ob sie die Antwort Geirs fordere.
Geir rang mit sich. Seine Hand wanderte zu seinem Glücksbringer, der Gürtelschnalle mit dem Wal Swafnirs.
Lass das Du kleiner Narr! Er kann Dir nicht helfen. Thorwaler entscheiden selbst was richtig und falsch ist. Ich brauche eine Antwort. Jetzt! - Antworte! Dann wird es vielleicht sogar besser als vorher...
"Ja... gut.. ich .. -ich will das Du mir hilfst" Besser als vorher?
Jaah, stöhnte die Gestalt, besser. Willst Du der beste Läufer werden? Schneller als die anderen?
"Ja, Läknir!" sagte Geir hastig.
Die Gestalt reckte den Kopf erleichtert in die Höhe. Ihr entfuhr nach einer längeren Stille ein erleichtertes Stöhnen, das bei Geir eine Gänsehaut erzeugte. Kühle stieg in ihm auf und legte sich wie eine Hand um sein Herz.
Gut. Dann haben wir eine Vereinbarung. Irgendwann musst Du mir einen Gefallen tun. Und behalt unser kleines Geheimnis für Dich. Sonst werden die Alfen ..böööse!
Wieder drehte sich die Gestalt vom Feuer weg, seitlich zu seiner Position. Geir hatte dein Eindruck, er hätte bei der Gestalt für einen kurzen Augenblick ein Funkeln anstatt Augen unter der Kaputze gesehen. Dann überkam ihn eine schwere Müdigkeit, während die Gestalt auf ihn zukam. Hinter dem Schatten loderte die Feuerstelle auf, so das man nur Schwärze erkannte. Und zwei unerbittliche Augen, die hecktisch hin und her zuckten. Bevor die Gestalt zum Tisch gehuscht war, auf dem Geir lag, war er schon eingeschlafen.

"Junge, werd wach verdammt" hörte Geir Arngrims Stimme. Dann öffnete er die Augen. An seinem Tisch standen Arngrim und Renea. Beide blickten ihn hoffnungsvoll an. Die Augen der älteren Frau waren die selben, die ihn gestern in den Schlaf gewiegt hatten. Ruhig und warm.
"Aye, Arngrim, ich bin wach" lächelte Geir.
Er horchte in sich. Das einzige was von dem gestrigen Schmerz übrig geblieben war, war das Gefühl, als ob sich etwas im Knie drehe. Sicherlich nachwirkungen vom Sturz. Renea wickelte den Verband ab und erstarrte.
"Bei den Göttern" entfuhr es ihr.
Das Knie war zwar noch gerötet und aufgerissen, aber die Tinktur hatte scheinbar enorme Wirkung gezeigt. Auch zu probieren, es zu bewegen ging ohne Mühe und scheinbar schmerzlos.
"Spürst Du etwas, Junge?" fragte die Heilerin.
"Nein, Fru, ihr habt ganze Arbeit erledigt. Danke für Eure Hilfe!"
"Ich habe nur Wickel gemacht. Ich wollte das die Schwellung zurückgeht. Aber dies...!"
Arngim blickte hoffnungsvoll und klopfte Renea, die völlig erstaunt neben dem Tisch stand, auf die Schulter
"Ganze Arbeit! Danke!" Er drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Wange "Du bist halt wirklich die Beste!"
Sie warf dem Thorwaler einen süßlichen Blick zu, kam aber nicht zu einer Antwort, denn auch Geir umarmte die ältere Frau und setzte sich auf.
"Danke, Läknir." sagte er. Von draußen drang Lärm in die Stube, man hörte Männer die Straße zum Haus herunterkommen.
"Mein Vater und meine Freunde!" Der Junge sprang auf und drückte die Heilerin noch einmal fest an sich. Danach lief er zur Tür, offensichtlich ohne Schmerzen zu haben.
Der Thorwaler sah zu seiner ehemaligen Freundin herab.
"Wie hast Du das bloß hinbekommen?" fragte er sie
"Ich war das nicht.. Ich meine. .. Ich weiß es nicht.. Es ist.. unglaublich.. Einfach seltsam.." antwortete sie, dem Jungen hinterherblickend.
"Und was hat der Junge Dir eben noch ins Ohr geflüstert?" flaxte der Thorwaler.
Die Frau blickte Arngrim völlig ratlos an: "Er sagte... 'Ich werde unser kleines Geheimnis für mich behalten.'"

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